Konzept & Hintergrund

Was ist ALLE WETTER?

ALLE WETTER beschreibt einen Gesprächsprozess, der mit einem allgemeinen Stimmungsbild startet und im weiteren Verlauf immer mehr auf jene Themen und Konflikte fokussiert, welche die Gruppe in der Tiefe bewegen. Ziel ist sowohl eine intensive und ehrliche Aussprache zu den betreffenden Themen, als auch eine kreative Verständigung zu Ideen und Lösungsansätzen. Über die Bearbeitung aktueller Probleme hinaus soll der Prozess als solcher auch den Zusammenhalt in der Gruppe stärken, soziale Kompetenzen fördern sowie Zuversicht mit Blick auf die Bewältigung künftiger Konflikte vermitteln.
Die Aufgabe der ALLE-WETTER-Gesprächsleitung besteht dabei vor allem darin, einen von Wertschätzung, Empathie und Klarheit geprägten Rahmen zu schaffen, der allen Beteiligten die Möglichkeit gibt, ihre Sicht auf die Dinge darzulegen und auch gehört zu werden.

Für wen eignen sich die Kreisgespräche?

ALLE WETTER eignet sich als Gesprächsform für Kinder- und Jugendgruppen in Schule und anderen pädagogischen Einrichtungen. Aber auch in der Arbeit mit Erwachsenen in Teams, Initiativen und Gemeinschaften wurden im schon gute Erfahrungen gemacht – z.B. im Rahmen von Mediation oder Supervision

Die Arbeit mit dem Gesprächsansatz stärkt erfahrungsgemäß auch jene Pädagogen und Prozessbegleiterinnen, denen ein gleichwürdiges und wertschätzendes Miteinander am Herzen liegt. Mit ALLE WETTER bekommen sie ein Werkzeug an die Hand, mit dessen Hilfe sie in ihrem Arbeitsumfeld oder bei ihren Auftraggebern erfolgreich einen  Unterschied im Umgang mit Konflikten bewirken können.

Wie ist das Konzept entstanden?

Als Schulsoziarbeiter an einer großen Gesamtschule in Halle-Neustadt sammelte André Gödecke im Zuge einer berufsbegleitenden Ausbildung zum Mediator zunächst Erfahrungen in mediativer Konfliktbearbeitung. Später kamen immer mehr Anfragen von anderen Schulen, wo er zusammen mit Dorothee Fischer – heute Leiterin des Evangelischen Bildungs- und Projektzentrums Villa Jühling in Halle – ganze Klassenverbände begleitete. Schnell wurden hier Grenzen deutlich, weil mithilfe des herkömmlichen Mediationsverfahrens die Fülle und Wucht der in den Klassen vorhandenen Konflikte oft nicht zufriedenstellend zu bewältigen war – zumal innerhalb von gerade mal 90 Minuten, welche für die Gespräche in der Regel zur Verfügung standen.

Es brauchte also eine Methode, die dabei half, so effektiv und bündig vorzugehen, dass am Ende der ersten 90 Minuten alle relevanten Themen auf dem Tisch liegen, alle Schüler*innen zu Wort gekommen sind und bei den Beteiligten auch ein gewisses Maß an Zuversicht vorhanden ist, dass am Ende irgendwie doch noch alles gut wird. Die Gespräche wurden fortan im Stuhlkreis geführt und für den Einstieg wurde eine Mini-Umfrage mithilfe von Karten mit Wettersymbolen zum Ankreuzen erstellt.

Mit der Zeit kamen immer mehr Elemente dazu und es brauchte noch mehrere Jahre und tiefgreifende Lernprozesse, bis eine „runde“ Vorgehensweise entstand, welche die Grundlage des heutigen ALLE-WETTER-Ansatzes bildet. Großen Einfluss – vor allem auf Aspekte einer hilfreichen Haltung in der Rolle der Gesprächsleitung – hatten Lernerfahrungen im Zuge von Ausbildungen in Gewaltfreier Kommunikation nach M. Rosenberg und Dialogprozessbegleitung (Johannes Schopp). Hinzu kam die Bekanntschaft mit der nordamerikanisch-indigenen Tradition der Council-Runden.

Seit 2018 vermittelt André Gödecke in Fortbildungen und Workshops den ALLE-WETTER-Ansatz für Kreisgepräche mit Schulklassen an pädagogische Fachkräfte. 2020 gründete sich ein Mulitiplikator:innenteam. Inzwischen fand die Methode auch Eingang in die Arbeit mit Erwachsenenteams. 2021/22 fand die erste 10-tägige Ausbildung zur ALLE-WETTER-Prozessbegleiter:in statt.

Wie läuft ein Kreisgespräch ab?

Die Gruppe sitzt in einem Stuhlkreis um eine gestaltete Mitte. Dann werden Kärtchen mit Wettersymbolen verteilt, verbunden mit der Bitte, anonym jenes Symbol anzukreuzen, welches eine Antwort auf die Frage „Wie geht es dir in deiner Gruppe / deinem Team darstellt. Das Ergebnis dieser Umfrage wird in Form einer Strichliste an der Tafel oder am Whiteboard abgebildet, so dass ein Stimmungsbild darüber entsteht. Hier ergeben sich in der Regel schon aufschlussreiche Gespräche.

Anschließend wird mithilfe eine Kartenabfrage (Sonnen- und Wolkenkarten) der Frage nachgegangen, was genau hinter dem ersten Stimmungsbild steckt. Erfahrungsgemäß erzeugt das Vorlesen der Karten durch die Prozessbegleiter:innen große Aufmerksamkeit, weil in diesem Moment wahrscheinlich alles „auf den Tisch“ kommt, was an Themen und Konflikten in der Gruppe vorhanden ist. Auf der Grundlage der beschriebenen Karten werden Themen formuliert und per Punktevergabe wird über jenes Thema abgestimmt, welches in der verbleibenden Zeit im Kreisdialog besprochen werden soll.

Kennzeichnend für diesen Kreisdialog sind bestimmte Gesprächsregeln sowie ein Sprechgegenstand, welcher von Hand zu Hand geht. Hinzu kommt ein spezieller Sprechgegenstand (“Empathie-Ohr”) bei der Prozessbegleitung, der dann zum Einsatz kommt, wenn es emotionale Spitzen wie Vorwürfe, Wutausbrüche, Unsicherheit empathisch aufzunehmen bzw. auch aufzufangen gilt.

In der letzten Phase werden auf kreative Weise Ideen gesammelt, wie man das Miteinander besser gestalten kann. Erfahrungsgemäß braucht es hiefür jedoch noch ein weiteres Gespräch.

Was ist Dialogische Haltung?

Dialog ist eine Haltung und meint:

  • mit aller Aufmerksamkeit zuhören
  • von Herzen reden,
  • gemeinsames Denken.

Seine Wurzeln gehen zurück auf den Philosophen Martin Buber, den Physiker David Bohm sowie auf indigene Traditionen. Während es Bohm darum geht, in einer Gruppe eine gedankliche Synergie einzugehen und neuen Sinn miteinander zu schaffen, liegt Bubers Augenmerk eher auf der direkten, zwischenmenschlichen Begegnung zwischen ICH und DU. Treffen sich diese beiden Haltungen – zwischenmenschliche Begegnung und gemeinsames Denken -, können sich dem Einzelnen, wie auch der Gruppe, ganz neue Erfahrungswelten öffnen.

In Diskussionen oder Debatten erleben wir, dass Menschen eher gegeneinander als miteinander reden. Sie fallen sich ins Wort und neigen dazu, ihre Meinung als absolute Wahrheit anzunehmen und zu verteidigen. Sie versuchen den oder die anderen zu überreden und ihre Meinung zu ,,verkaufen“.

lm Dialog bin ich herausgefordert, von Herzen zu sagen, was mir wirklich wichtig ist, zu erkunden und die eigenen Ansichten immer wieder zu hinterfragen. Dazu brauchen meine Gedanken immer mal wieder eine ,,Atempause“. Ziel ist es, automatisierte Muster, die in unserem Unbewussten gespeichert sind und die uns zu stereotypen Reaktionen verleiten, zu durchbrechen – durch Verlangsamung und geübte Achtsamkeit.

Aus der respektvollen Hinwendung zum anderen entsteht die Bereitschaft zu einer vorurteilsfreien Begegnung. Wir ,,besuchen“ mit lnteresse und Offenheit unser Gegenüber in seiner Welt. lch stelle mich seinen Ansichten, ohne sie gleich bewerten zu müssen. Statt „Denkprodukten“, tauschen wir unsere Denkwege aus. So begegnen wir uns in erster Linie als Lernende und nicht als Wissende.

Die Absicht des Dialogs: Miteinander zu denken und ein neues gemeinsames Verständnis zu erreichen, das über die bekannten, schon oft gedachten Gedanken, hinausgeht.

Der Dialog nach diesem Verständnis bildet die grundlegende Haltung für die ALLE-WETTER-Prozessbegleitung. Sie sorgt für eine Atmosphäre, die Raum für ehrliche Beiträge und Mut für Wünsche und neue Ideen vermittelt.

Was ist Gewaltfreie Kommunikation?

Gewaltfreie Kommunikation meint sowohl eine Art zu sprechen als auch eine innere Haltung, die dabei hilft, Konflikten eine positive Wendung zu geben und für gegenseitiges Verständnis zu sorgen. An die Stelle von Vorwürfen und Schuldzuweisungen tritt eine empathische Aufmerksamkeit, die sich auf aktuelle Gefühle und Bedürfnisse richtet – auf die eigenen und auf die der anderen Person. Ziel ist eine klare und achtsame Verständigung, so dass der Weg für gemeinsam getragene Lösungen frei wird.

Das Rosenberg-Modell beinhaltet vier Schritte, welche sowohl in der Kommunikation, als auch in der stillen Selbstreflexion als Leitfaden dienen:

1. Beobachtungen und Bewertungen trennen
2. Gefühle annehmen und ausdrücken
3. Bedürfnisse wahr- und ernstnehmen
4. klare Bitten äußern

Gewaltfreie Kommunikation ist mehr als eine Gesprächstechnik: Das Trainieren der vier Schritte hinterfragt eingefahrene Verhaltensmuster und schult die Aufmerksamkeit für bewertendes Denken und Sprechen als Hindernisse für gegenseitiges Verstehen, Kooperation und gute Beziehungen. Im Mittelpunkt stehen universelle menschliche Bedürfnisse und die Frage, wie diese Aufmerksamkeit und Nahrung bekommen können.

Bezogen auf den ALLE-WETTER-Gesprächsprozess unterstützt uns die Gewaltfreie Kommunikation insbesondere beim Umgang mit Vorwürfen, Schuldzuweisungen oder beim Auffangen von starken Gefühlen: Kurze empathische Dialoge tragen dazu bei, dass die Betroffenen sich gesehen fühlen und der Prozess als Ganzes weitergehen kann.

Link zum Buch „Gewaltfreie Kommunikation. Eine Sprache des Lebens“ von Marshall Rosenberg

 Marshall B. Rosenberg beim International Intensive Training 2005 in Warschau (Foto: privat)