Konzept & Hintergrund

Was ist ALLE WETTER?

ALLE WETTER beschreibt einen Gesprächsprozess, der mit einem allgemeinen Stimmungsbild startet und im weiteren Verlauf immer mehr auf jene Themen und Konflikte fokussiert, welche die Gruppe in der Tiefe bewegen. Ziel ist sowohl eine intensive und ehrliche Aussprache, als auch eine kreative Verständigung zu Ideen und Lösungsansätzen. Über die Bearbeitung aktueller Konflikte hinaus stärken die Kreisgespräche den Zusammenhalt in der Gruppe und fördern wichtige soziale Kompetenzen.
Die Aufgabe der ALLE-WETTER-Gesprächsleitung besteht dabei vor allem darin, einen von Wertschätzung, Empathie und Klarheit geprägten Rahmen zu schaffen, der allen Beteiligten die Möglichkeit gibt, ihre Sicht auf die Dinge darzulegen und gehört zu werden.

Wie ist ALLE WETTER entstanden?

Anfang der Nullerjahre arbeitete ich als Schulsozialarbeiter an einer großen Gesamtschule in Halle-Neustadt. Immer wieder hatte ich es dort mit Klassen zu tun, in denen es massive Streitereien und Mobbing-Vorfälle gab: Schüler:innen, Lehrkräfte und Eltern litten darunter, dass ein Großteil der Energie für immer neue Konflikte draufging, anstatt fürs Lernen und für den Erfolg in der Schule. Natürlich widmete ich mich intensiv diesen Problemen, führte jede Menge Gespräche und rang zusammen mit den Beteiligten um Lösungen.

Jedoch hatte ich aufgrund der Vielzahl der betroffenen Klassen und der Wucht der Probleme oft das Gefühl, all diese Bemühungen sind am Ende doch nur ein Tropfen auf dem heißen Stein. Mir wurde irgendwann klar: Es braucht sowohl auf Klassen- als auch auf Schulebene neue Wege im Umgang mit Konflikten sowie eine andere Gesprächskultur! Nur so kann es gelingen, Differenzen frühzeitig zur Sprache zu bringen und zu bearbeiten – als Voraussetzung für angstfreies Miteinander, Kooperation und Freude am Lernen.

Ich begann damit, in den Klassenräumen Stuhlkreise zu stellen und entwickelte eine Vorgehensweise, die sicherstellte, dass alle Stimmen gehört werden und nicht alle aufgeregt durcheinander redeten. Gesprächsregeln und eine Handvoll wirksame Methoden halfen mir dabei, mit Gefühlsausbrüchen, hartnäckigem Schweigen und anderen Herausforderungen umzugehen. Jeweils zu Beginn der Gesprächsrunden verteilte ich Ankreuzkärtchen mit Wettersymbolen, um das aktuelle Klassenklima zu checken.

Der Grundstein für die heutigen ALLE WETTER Kreisgespräche war gelegt.

Auch nach meiner Zeit als Schulsozialarbeiter wurde ich nun immer wieder in Schulen und Jugendhilfeeinrichtungen eingeladen, um dort Kreisgespräche zu führen. So arbeitete ich weiter an der Optimierung des Konzeptes, variierte es für verschiedene Altersstufen und führte den Ansatz sogar in die supervisorische Arbeit mit Erwachsenen-Teams ein. Im Rahmen meines weiteren beruflichen Bildungsweges fanden später noch die Gewaltfreie Kommunikation nach Marshall Rosenberg, der Dialog nach David Bohm sowie das Veto-Prinzip nach Maike Plath Eingang in das Konzept.

Als ich im Jahr 2018 ALLE WETTER auf einer pädagogischen Fachtagung vorstellte, entstand im kollegialen Austausch der Impuls, das Konzept auch an interessierte Lehrkräfte und Sozialarbeiter:innen zu vermitteln, damit diese die Kreisgespräche in ihrem jeweiligen Tätigkeitsfeld selber praktizieren können. Weil das ein sehr effektiver Weg zur Etablierung der oben erwähnten Gesprächskultur vor Ort ist, bilden Fort- und Weiterbildung nach dem ALLE WETTER Konzept heute den Schwerpunkt meiner selbständigen Tätigkeit.

Ich gehe dafür, dass Schulen zu einem freundlichen Ort werden, wo sich jene Fähigkeiten herausbilden, die es für den Erhalt unserer Demokratie sowie für die solidarische Bewältigung von Krisen braucht.

Für wen eignen sich die Kreisgespräche?

ALLE WETTER eignet sich als Gesprächsform für …

  • Kinder- und Jugendgruppen in Schule und anderen pädagogischen Einrichtungen.
  • die Arbeit mit Teams in Sozialeinrichtungen, Unternehmen und Behörden
  • für Vereine, Initiativen, Gemeinschaften und andere Organisationen

Das Format unterstützt insbesondere Pädagog:innen, Prozessbegleiter:innen und Führungskräfte, denen Qualitäten wie Partizipation, Gleichwürdigkeit und gewaltfreie Kommunikation am Herzen liegen. Mit ALLE WETTER bekommen sie ein Werkzeug an die Hand, mit dessen Hilfe sie in ihrem Arbeitsumfeld oder bei ihren Auftraggebern einen Unterschied im Umgang mit Konflikten bewirken können.

Wie läuft ein Kreisgespräch ab?

Die Gruppe sitzt in einem Stuhlkreis um eine gestaltete Mitte. Zu Beginn werden Kärtchen mit Wettersymbolen verteilt, verbunden mit der Bitte, anonym ein Symbol anzukreuzen zur Frage „Wie geht es dir in deiner Klasse?” (deiner Gruppe/deinem Team). Das Ergebnis dieser Umfrage wird in Form einer Strichliste an Tafel oder Whiteboard abgebildet, sodass ein erstes Stimmungsbild entsteht. An dieser Stelle ergeben sich oft schon interessante Gespräche über die Wahrnehmung des Miteinanders.

Anschließend wird mithilfe einer anonymen Kartenabfrage (Sonnen- und Wolkenkarten) der Frage nachgegangen, was konkret hinter diesem ersten Stimmungsbild steckt. Erfahrungsgemäß entsteht beim Vorlesen der Karten durch die Prozessbegleitung große Aufmerksamkeit, weil in diesem Moment in i.d.R. alles „auf den Tisch“ kommt, was an Themen und Konflikten in der Gruppe vorhanden ist. Auf der Grundlage der beschriebenen Karten werden Themen formuliert und per demokratischer Abstimmung wird entschieden, welches dieser Themen im anschließenden Kreisdialog besprochen werden soll.

Kennzeichnend für diesen Kreisdialog sind dialogische Elemente wie Gesprächsregeln und Sprechgegenstand, welcher dafür sorgt, dass alle Stimmen gehört werden. Hinzu kommt das “Beistandsherz”, welches zum Einsatz kommt, wenn starke Emotionen oder eskalierende Konflikte auftreten.

In der letzten Phase werden auf kreative Weise Ideen gesammelt, wie Konflikten künftig vorgebeugt werden kann und wie sich insgesamt mehr Freude und Kooperation in das Miteinander der Gruppe bringen lassen.

Was ist Dialogische Haltung?

Dialog ist eine Haltung und meint:

  • mit aller Aufmerksamkeit zuhören
  • von Herzen reden,
  • gemeinsames Denken.

Seine Wurzeln gehen zurück auf den Philosophen Martin Buber, den Physiker David Bohm sowie auf indigene Traditionen. Während es Bohm darum geht, in einer Gruppe eine gedankliche Synergie einzugehen und neuen Sinn miteinander zu schaffen, liegt Bubers Augenmerk eher auf der direkten, zwischenmenschlichen Begegnung zwischen ICH und DU. Treffen sich diese beiden Haltungen – zwischenmenschliche Begegnung und gemeinsames Denken – können sich dem Einzelnen, wie auch der Gruppe, ganz neue Erfahrungswelten öffnen.

In Diskussionen oder Debatten erleben wir, dass Menschen eher gegeneinander als miteinander reden. Sie fallen sich ins Wort und neigen dazu, ihre Meinung als absolute Wahrheit anzunehmen und zu verteidigen. Sie versuchen den oder die anderen zu überreden und ihre Meinung zu ,,verkaufen“.

lm Dialog bin ich herausgefordert, von Herzen zu sagen, was mir wirklich wichtig ist, zu erkunden und die eigenen Ansichten immer wieder zu hinterfragen. Dazu brauchen meine Gedanken immer mal wieder eine ,,Atempause“. Ziel ist es, automatisierte Muster, die in unserem Unbewussten gespeichert sind und die uns zu stereotypen Reaktionen verleiten, zu durchbrechen – durch Verlangsamung und geübte Achtsamkeit.

Aus der respektvollen Hinwendung zum anderen entsteht die Bereitschaft zu einer vorurteilsfreien Begegnung. Wir ,,besuchen“ mit lnteresse und Offenheit unser Gegenüber in seiner Welt.

Die Absicht des Dialogs: Miteinander zu denken und ein neues gemeinsames Verständnis zu erreichen, das über die bekannten, schon oft gedachten Gedanken, hinausgeht.

Der Dialog nach diesem Verständnis bildet die grundlegende Haltung für die ALLE-WETTER-Prozessbegleitung. Sie sorgt für eine Atmosphäre, die Raum für ehrliche Beiträge und Mut für Wünsche und neue Ideen vermittelt.

Was ist Gewaltfreie Kommunikation?

Gewaltfreie Kommunikation meint sowohl eine Art zu sprechen als auch eine innere Haltung, die dabei hilft, Konflikten eine positive Wendung zu geben und für gegenseitiges Verständnis zu sorgen. An die Stelle von Vorwürfen und Schuldzuweisungen tritt eine empathische Aufmerksamkeit, die sich auf aktuelle Gefühle und Bedürfnisse richtet – auf die eigenen und auf die der anderen Person. Ziel ist eine klare und achtsame Verständigung, sodass der Weg für gemeinsam getragene Lösungen frei wird.

Das Rosenberg-Modell beinhaltet vier Schritte, welche sowohl in der Kommunikation, als auch in der stillen Selbstreflexion als Leitfaden dienen:

1. Beobachtungen und Bewertungen trennen
2. Gefühle annehmen und ausdrücken
3. Bedürfnisse wahr- und ernstnehmen
4. klare Bitten äußern

Gewaltfreie Kommunikation ist mehr als eine Gesprächstechnik: Das Trainieren der vier Schritte hinterfragt eingefahrene Verhaltensmuster und schult die Aufmerksamkeit für bewertendes Denken und Sprechen als Hindernisse für gegenseitiges Verstehen, Kooperation und gute Beziehungen. Im Mittelpunkt stehen universelle menschliche Bedürfnisse und die Frage, wie diese Aufmerksamkeit und Nahrung bekommen können.

Bezogen auf den ALLE-WETTER-Gesprächsprozess unterstützt uns die Gewaltfreie Kommunikation insbesondere beim Umgang mit Vorwürfen, Schuldzuweisungen oder beim Auffangen von starken Gefühlen: Kurze empathische Dialoge tragen dazu bei, dass die Betroffenen sich gesehen fühlen und der Prozess als Ganzes weitergehen kann.

Link zum Buch „Gewaltfreie Kommunikation. Eine Sprache des Lebens“ von Marshall Rosenberg

 Marshall B. Rosenberg beim International Intensive Training 2005 in Warschau (Foto: privat)

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